#Klimaschutz


Klimawandel: Großer Aletsch-Gletscher, Schweiz

Warum es notwendig ist, dass die Industrienationen vorangehen

Ausgangspunkt

Die Menschheit befindet sich gegenwärtig in einer nie dagewesenen Situation. Die globale Umwelt- und Klimakatastrophe hat das Potential, die menschliche Zivilisation akut zu gefährden. Denn wir steuern auf eine Klimaveränderung zu, wie es sie seit Beginn des Holozäns vor 11.700 Jahren noch nie gegeben hat, jenes Erdzeitalters also, das Ackerbau und Viehzucht und damit diese Zivilisation erst ermöglicht hat.

 

Der menschengemachte Klimaerwärmung von 2, 3 und mehr Grad Celsius katapultiert uns geradewegs ins Anthropozän, in dem der Meeresspiegelanstieg zahlreiche Küstenregionen bedroht, während Trockenheit und Gletscherschmelzen unsere Trinkwasserver-sorgung, sich ausbreitende Krankheitserreger unsere Gesundheit sowie zunehmende Extremwetterereignisse unser Eigentum, unseren Wohlstand und gar unser Leben gefährden.

 

Kipppunkte wie das Auftauen des Permafrostbodens in Sibirien, die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes, die Veränderung des Monsun-Systems in Südasien oder das mögliche Abreißen der thermohalinen Zirkulation im Nordatlantik bergen zusätzliche Risiken mit irreversiblen Folgen, auch für Europa. Infolge der Klimakatastrophe werden weite Gebiete in Afrika, aber auch in Asien, Südeuropa und Amerika unbewohnbar werden. Das bedroht nicht nur die Ernährungssicherheit der Menschheit, sondern erhöht auch die Wahrscheinlichkeit kriegerischer Auseinandersetzungen um Wasser, Siedlungsraum und fruchtbaren Boden. Millionen Tote in den von Hitze, Überschwemmungen und Hunger besonders betroffenen Gebieten und riesige Flüchtlingsströme, die die Gesellschaften der reichen Zielländer vor gewaltige Herausfor-derungen stellen, sind zu befürchten.

 

Horrorszenario? Alles nur Panikmache?

Mitnichten! Sondern wohl leider schon bald bittere Realität. Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt warnen jedenfalls schon seit Jahrzehnten immer eindringlicher davor.

 

Heute, nach inzwischen mehr als 30 Jahren des politischen Zögerns, ist die Situation so ernst, dass die reichen Staaten sich eigentlich unverzüglich darauf verständigen müssten, ihre Industrien auf eine Art „Kriegswirtschaft“ umzustellen, um den Kampf gegen die Klimaerwärmung adäquat aufnehmen und das 2015 in Paris völkerrechtlich vereinbarte 1,5 Grad-Ziel einhalten zu können. Den Allermeisten, die sich intensiv mit der Materie beschäftigen, ist diese Tragweite voll bewusst. Wer das aber, wie so viele Konservative, immer noch nicht sieht oder nicht sehen will und meint, mit ein paar Stellschrauben hier und kleinen Veränderungen dort sei es getan, der hat den Ernst der Lage nicht einmal im Ansatz begriffen. Ein "klimaneutrales Industrieland" ist nicht mit bloßen Parolen und Absichtserklärungen zu erreichen.

 

Der Kampf gegen die bereits einsetzende Katastrophe erfordert vielmehr riesige Anstrengungen. Fossile Energieträger wie Kohle und später Öl waren DIE Grundlage unserer gesamten modernen Zivilisation, ohne sie hätte es die Industrialisierung nie gegeben. Deshalb bedeutet die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft nichts weniger als die größte Herausforderung seit 250 Jahren. Sie berührt nicht nur die Klima-, sondern auch die Umwelt-, Energie-, Verkehrs-, Bau-, Agrar-, Sozial-, Wirtschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik. Dabei gilt: Je weniger und je später wir handeln, desto schmerzlicher und teurer wird es. KEIN Klimaschutz ist dagegen wegen der drohenden Schäden schlicht nicht finanzierbar – und zudem ein Verbrechen gegenüber allen künftigen Generationen.

 

Glücklicherweise stehen die technologischen Lösungen parat: Regenerative Energien. Sie müssen nur rigoros ausgebaut werden, je schneller, desto besser. Wie bei allen grundlegenden Veränderungen gilt dabei auch hier eine 80/20-Faustformel: 80 % des Ziels sind mit 20 % Einsatz zu schaffen, der Rest wird dann umso schwerer. Momentan stehen wir erst am Anfang: Bisher haben wir in Deutschland ca. 50 % der Stromerzeugung auf Erneuerbare umgestellt, aber erst ca. 20 % am Gesamtenergieverbrauch. Das heißt, der größte und schwierigste Part, etwa beim Verkehr (wo bisher fast nichts geschehen ist) und erst recht bei Produktionsverfahren, bei denen nicht durch die Energiegewinnung, sondern durch den chemischen Fertigungsprozess selbst CO2 entsteht, wie in der Stahl- und Zementindustrie, steht uns erst noch bevor.

 

Es muss jetzt darum gehen, eine solche Klimapolitik in Deutschland entschlossen zu managen. Der Markt allein wird es - auch wenn das die Neoliberalen gerne behaupten - nicht richten, das haben die letzten Jahrzehnte gezeigt. Die politischen Weichen müssen JETZT gestellt werden, um „der Wirtschaft“ die Zielrichtung vorzugeben und sie bei dem gewaltigen Transformationsprozess zu unterstützen. Ein Weiter-so, ein Laissez-faire und ein „sanfter Übergang“, wie es viele konservativen und liberalen Parteien propagieren, wird nicht im Ansatz reichen.

 

Für diese gewaltige Aufgabe bleibt uns nur noch ein schmales Zeitfenster von vielleicht einem Jahrzehnt. Angesichts von drei Jahrzenten Tiefschlaf, die hinter uns liegen, und der gewaltigen Herausforderung, vor der wir stehen, ist das verdammt wenig.

 

Gegenwärtig kommt hinzu, dass die Menschheit - man muss sagen: mal wieder - abgelenkt wird von anderen, scheinbar wichtigeren Themen, die das Tagesgeschäft soweit in Anspruch nehmen, dass nicht nur die oben angesprochenen elementaren Notwendigkeiten aus dem Blickfeld rücken, sondern diesen elementaren Notwendigkeiten sogar zuwidergearbeitet wird.

 

Häufig wird in diesem Zusammenhang auch argumentiert, warum  sich denn ausgerechnet Deutschland angesichts seines geradezu mickrigen 2 %- Anteils an den globalen Treibhausgasemissionen beim Klimaschutz denn überhaupt so ins Zeug legen sollte? Ist das nicht vergebliche Liebesmüh? 

 

Nein, ist es nicht!

 

Gründe für das Engagement Deutschlands und der anderen Industrienationen

1. Vorbildfunktion: Deutschland zählt zu den reichsten Ländern der Erde. Wir haben alle Mittel und Möglichkeiten, die nötig sind. Wer, wenn nicht der reiche Westen sollte mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass es funktioniert? Da die USA beim Klimaschutz leider weitgehend ausfallen, liegt es zuallererst an Europa, etwas zu tun. Und hier trägt Deutschland als bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Nation das größte Gewicht.

 

2. Historische Verantwortung: Europa und die USA haben ihren Wohlstand in den letzten 200 Jahren auf der Basis von Kohle und Öl und damit zu Lasten aller anderen Nationen aufgebaut. China und andere Schwellenländer sagen deshalb zu Recht: „Ihr habt uns die Misere eingebrockt, wollt uns jetzt aber denselben Weg zum Wohlstand, den ihr gegangen seid, versagen? Das ist nicht fair!“ Wir sind daher in der Pflicht, voranzugehen und sie zu unterstützen, auch, um zu vermeiden, dass sie dieselben Fehler machen wie wir.

 

3. Verantwortung für künftige Generationen: Gemäß dem wichtigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts schränkt zu wenig Klimaschutz die Freiheit und die Chancen nachfolgender Generationen ein. Unterlassener Klimaschutz ist gewissermaßen unterlassene Hilfeleistung, ja mehr: ein Verbrechen. Dass unsere Generation aus Bequemlichkeit, Ignoranz und Egoismus die Zukunft unserer Kinder zerstört, ist nicht hinnehmbar und wird uns ihren Hass und ihren Groll einbringen. Unsere angeblichen Hinderungsgründe („Belastung für die Wirtschaft“, „nicht finanzierbar“, „Einschränkung unserer Freiheit“) werden sie als blanken Hohn empfinden.

 

4. Technologieführerschaft: Neue Technologien und Industrien mischen die marktwirtschaftlichen Karten immer neu und bringen neue Wettbewerber hervor, die das Zeug haben, eine Marktführerschaft einzunehmen. Darum wird eine stringente, vorbildliche Klimapolitik unweigerlich zu zahlreichen technologischen Innovationen führen, die Deutschland in die wirtschaftliche Pole Position bringen und die heimische Wirtschaft für die nächsten Jahrzehnte rüsten wird. Insofern bedeutet Klimapolitik auch eine riesige wirtschaftliche Chance für unser Land! Das Festhalten an veralteten Technologien hat dagegen noch niemanden voran gebracht.


5. Eigeninteresse: CO2-freie Technologien bringen eine Menge positiver Nebeneffekte mit sich: weniger Emissionen, weniger Lärm, sauberere Luft, lebenswertere Städte, bessere Gesundheit, größere Autarkie und Unabhängigkeit, mehr Lebensqualität. Aus diesem Grund bringt gute Klimapolitik auch für jeden Einzelnen von uns unmittelbare persönliche Vorteile!

OH Jan/2024

Großer Aletschgletscher, Schweiz (Foto:: OH)